Alles neu macht die Zelle: Zellkompetenz Erneuerung
Erneuerung und Ostern passen einfach wie die Faust aufs Auge. Daher bringen wir heute die dritte und letzte Fachkompetenz unserer Zellen: die Erneuerung. Auch hier sind unsere Zellen wahre Meister der Kunst. Allerdings nehmen wir (leider) oft negativen Einfluss auf ihre naturgegebenen Fähigkeiten.
Wir lüften heute das größte Geheimnis der Menschheit. Denn wir – oder besser Nina Ruge und Dr. Dr. med. Dominik Duscher – haben es entschlüsselt, das Geheimnis des Lebens: Unsere Zellen können sich entwickeln und erneuern und sichern so unser Dasein.
Nein, Spaß beiseite, denn das wissen wir nun doch schon etwas länger. Unsere Zellen – besonders unsere embryonalen Stammzellen – besitzen die Fähigkeit sich zu allen Zellen zu entwickeln, die es in unserem Körper gibt und die es braucht, um unsere erwachsenen Körper zu formen. Man bezeichnet ihre Fähigkeit zur Wandlung daher auch als „pluripotent“ oder Vielkönner.
Ab der Geburt verlieren unsere Zellen diese Fähigkeit aber. Die adulten Stammzellen – wie sie dann heißen – können nur noch Zellen eines einzelnen Organs hervorbringen, zum Beispiel Hautzellen, Fettzellen oder Knochenmarkzellen. Man bezeichnet sie daher als „multipotent“ oder Mehrkönner. Sie bilden die benötigten Zellen des Organs, wo und wie diese gebraucht werden. Diese gebildeten Zellen sind allerdings zweckgebunden und werden daher als „unipotent“ bezeichnet.
Adulte Stammzellen stellen somit quasi unser Ersatzteillager dar. Sie produzieren den Nachschub an Organzellen, den wir aufgrund des kontrollierten Zellsterbens benötigen und sind damit wahre Meister der Teilung. Ein ewiger Kreis der Erneuerung, zumindest theoretisch. Denn auch unsere adulten Stammzellen sind vom Alterungsprozess betroffen, wie Dr. Dr. med. Duscher und sein Team nachweisen konnten. Sie werden müde, träge und verweigern irgendwann den Dienst. Was also tun, wenn uns der Nachschub ausgeht?
Forschungsfortschritte
Shinya Yamanaka von der Kyoto-Universität, beschäftigte sich mit dieser Frage. Seine Antwort: Wenn uns die multipotenten Stammzellen ausgehen, legen wir doch einfach pluripotente nach. 2006/2007 schaffte er es tatsächlich als Erster, unipotente Zellen mithilfe von Viren wieder in einen pluripotenten Zustand der embryonalen Stammzellen zurück zu versetzten. Er drückte damit quasi den „Reset“-Schalter und die so entstandenen „induzierten pluripotenten Stammzellen“ – oder kurz iPS-Zellen – konnten sich wieder zu jeder benötigten Zelle im Körper entwickeln und für neuen Ersatz sorgen. Seine Forschung brachte ihm und seinem Kollegen John Gurdon 2012 sogar der Medizin-Nobelpreis ein. Leider war sie aber nicht von dauerhaftem Erfolg gekrönt, da sich herausstellte, dass die geschaffenen iPS-Zellen anfälliger für Entartungen und damit Krebs waren.
Wo sie bisher scheiterten, bereitete Timo Otonkoski mit seiner Forschungsgruppe in Helsinki 2018 einen neuen vielversprechenden Weg für die Wissenschaft. Sie entwickelten eine Gen-Schere – CRISPR/Cas –, mit deren Hilfe Gene aus der DNA geschnitten und neue Gene eingesetzt werden können. Somit konnten sie in menschlichen Hautzellen die natürlichen vorhandenen Genbereiche aktivieren, die für die pluripotenten Fähigkeiten der embryonalen Stammzellen verantwortlich sind. Allerdings stehen wir hier erst am Anfang der Forschung und werden uns wohl noch etwas gedulden müssen, bis wir hier echte Anwendungen sehen können.
Was heißt das für uns?
Damit sind wir also – zumindest einstweilen – wieder zurück bei unseren adulten Stammzellen und deren Alterung. Wenn wir sie nicht ersetzen können, bleibt die Frage, ob wir ihren Verfall verhindern oder verlangsamen können. Dafür müssen wir aber zunächst die Frage klären, warum sie überhaupt ermüden. Der Grund ist einfach: Umso öfter sich unsere Stammzellen selbst duplizieren oder erneuern, desto schwieriger wird dieser Prozess für sie. Bei jeder dieser Duplikationen muss unsere Stammzelle 3,3 Milliarden Basenpaare verdoppeln und da kann schnell etwas schiefgehen. So wird ca. eines von 1 Million Basenpaare falsch eingebaut. Was dazu führt, dass jede unserer Zellen täglich rund 100.000 DNA-Schäden erleidet.
Eine Fehlerquote, die unsere Reparatursysteme in Atem hält. Sie sind dafür zuständig, beschädigte DNA zu reparieren oder die Stammzelle – wenn eine Reparatur nicht mehr möglich ist – dem kontrollierten Zelltod, der Apoptose, zuzuführen. Soweit ein gut ausgeklügeltes System der Natur, das auch wunderbar funktioniert.
Zum Problem wird es aber, wenn sich durch oxidativen Stress, freie Sauerstoffradikale oder exogene Faktoren, wie UV-Strahlung, chemische Gifte oder Viren die Fehlerquote zusätzlich erhöht, sodass unsere Reparatursysteme schlichtweg überfordert sind und nicht mehr mit der Erneuerung und Wandlung nachkommen.
Das Ergebnis
Die beschädigten Zellen werden nicht länger repariert oder dem Zelltod zugeführt. Stattdessen häufen sich kaputte Zellen in unserem Körper, die aufgrund ihrer DNA-Schäden – entstanden durch zu häufige Teilungen oder externe Einflüsse – nicht mehr zur Teilung fähig sind, die sogenannten seneszenten Zellen. Sie wurden erstmals 1960 von Leonard Hayflick entdeckt, der damals noch für seine Entdeckung belächelt wurde.
Heute sieht das ganz anders aus. Denn heute wissen wir, um die Gefahr, die von seneszenten Zellen ausgeht. Obwohl sie nicht länger zur Teilung fähig sind, sind diese dennoch hochaktiv. Sie produzieren hunderte Proteine, wie die Steuerungsproteine Zytokine. Mit deren Botschaften können sie nach wie vor benachbarte Zellen beeinflussen, indem sie beispielsweise Entzündungsreaktionen auslösen.
In gewissem Maße ist die Seneszenz der Zellen von der Natur gewollt, um schädliche Zellen leichter identifizieren und abbauen zu können. Im Alter – genauer gesagt ab dem Alter von 50 – sammeln sich die seneszenten Zellen allerdings gehäuft an und blockieren durch ihre Anzahl und die damit einhergehende Menge an Fehlsignalen die effektiven Prozesse unserer Zellen.
Fazit
Fakt ist also: Zu viele seneszente Zellen sind schlecht für uns und unseren Körper. Wir müssen folglich dafür sorgen, dass die kaputten Zellen wieder zur Regeneration angeregt werden, um als erneuerte Zellen wieder ihrer Aufgabe nachgehen zu können. Und hier kommt ein kleines Protein ins Spiel, dessen Erforschung Gregg Semenza, Sir Peter Ratcliffe und William Kaelin 2019 den Medizin-Nobelpreis einbrachte: der Hypoxia-Inducible Faktor – oder kurz HIF.
Dieses HIF-Protein befindet sich in jeder unserer Zellen. Es ist quasi eine von der Natur geschaffene, sauerstoffabhängige Zeitbombe. Inwiefern? Nun, ganz einfach. Ist genug Sauerstoff in der Zelle vorhanden – ein Anzeichen für einen ausgewogenen, ruhigen Zustand unseres Körpers – wird das HIF-Protein vom Sauerstoff in der Zelle außer Gefecht gesetzt. Kommt es allerdings zu einer Stresssituation – der Sauerstoff in der Zelle nimmt dabei ab –, kann das HIF-Molekül ungehindert in den Zellkern wandern und dort die sogenannte Genexpression auslösen – ein Feuerwerk an Proteinproduktion für über 300 Zellprozesse, das den Prozess der Zellregeneration startet. Damit ist das HIF-Protein quasi der Captain einer Flotte von Signalketten zum Start der Zellerneuerung.
Über dieses kleine Protein können wir folglich die Erneuerung unserer Zellen entscheidend steuern. Derzeit ist die Wissenschaft weltweit damit beschäftigt genauer zu erforschen, wie man auf dieses Protein einwirken kann, um eine entsprechende Reaktion zu forcieren. Was wir bis dahin allerdings schon beherzigen können, ist negative Einflussfaktoren wie oxidativen Stress, freie Sauerstoffradikale oder exogene Faktoren, wie UV-Strahlung, chemische Gifte oder Viren, zu verringern und unsere Zellen zur Erneuerung und Autophagie anzuregen.
Wie geht es weiter
Wir sind jedenfalls sehr gespannt, was ForscherInnen in diesem Bereich noch aufdecken werden. Egal ob dies nun die Rückführung unserer Zellen in einen pluripotenten Zustand embryonaler Stammzellen ist, oder die Beeinflussung des HIF-Proteins, die Anwendungsmöglichkeiten wären schier enorm – von der Behandlung und Heilung von Krankheiten bis hin zur Verlangsamung des Alterungsprozesses und der Erhaltung der Jugend.
Wir sind jedenfalls überzeugt, dass eine Zellkompetenz, die in den letzten 10 Jahren bereits zwei Mal mit einem Medizin-Nobelpreis bedacht wurde, nur hochrelevant für die Zukunft unserer Gesellschaft sein kann. Und damit zeigt sich wieder einmal, welchen außergewöhnlichen Stellenwert die Altersforschung und die Forschung der Zellerneuerung in unserer heutigen Zeit hat.